#Jesuisunenfantpakistanais

Geburt und Tod sind zwei universelle Tatsachen. Alle Menschen werden geboren. Alle Menschen sterben. Dies sind keine wertvollen Aussagen. Es sind Tautologien. Sie sind immer wahr. Bedeutend werden solche Ereignisse erst, wenn sie historisch eingereiht werden.

Die Geschichte zeigt aber, dass nicht jeder Tod von historischem Wert ist. Niemand interessiert sich für die italienische Mamma, die sich nach der tausendsten Lasagna müde ins Bett legt und für immer die Augen schließt. Niemand kennt die Namen der über 130 pakistanischen Kinder aus Peschawar, die vor Weihnachten von Terroristen erschossen wurden. Sie haben keine Geschichte und vielleicht ist es ein Kennzeichen des Menschen, dass er versucht, sich eine Geschichte zu verschaffen? Kaum jemals hätte Breivik seinen Namen in der Zeitung gelesen, hätte er nicht 77 Menschen ermordet. Mit dem Leid kommt oft der Erfolg.

Die eben noch moribunde Charlie Hebdo stößt absatzmässig in ganz neue Dimensionen vor, seit die halbe Redaktion erschossen und begraben liegt und Hinz und Kunz die Zeitung lesen wollen, für die sie sich vorher nicht die Bohne interessiert haben. Eine unfassbar hässliche Tat schafft plötzlich Einigkeit und Einheit. Aber, wir alle wissen, das ist nur von kurzer Dauer. Im digitalen Zeitalter werden Gemeinschaft und Gleichheit nur noch punktuell geschaffen. Zu stark ist die Zerstreuung des Denkens und die Fragmentierung der Interessen. Man kann nicht überall sein aber überall ein bisschen. Heute ein bisschen #JesuisCharlie teilen und morgen dann wieder die Pegida mit all ihren dummen Ablegern gut finden. Es kostet eben alles nichts. Wie Roland Barthes einst bemerkt hat, gibt es außer Geburt und Tod nichts, was uns eint, und allein in der Endgültigkeit des Todes sind wir Menschen uns gleich.

Zum Attentat lässt sich nichts mehr sagen. In der ZEIT wurde noch einmal darauf hingewiesen, dass wir nicht vergessen dürfen, dass islamistisch ideologisch motivierte Anschläge immer auch uns Frauen gelten. Sie wenden sich gegen unser Selbstverständnis, gleichwertige Personen zu sein, gegen unsere Freiheit zu arbeiten, zu lesen, zu lernen, gegen unsere Lust, zu lieben und zu lachen. Gerade Humor können manche Menschen gar nicht ab. Humor ist vielschichtig, tiefgründig und gefährlich. Humor kann rasch aufs Glatteis führen. Ich persönlich finde, dass Mohammed-Karikaturen unnötig sind. Erstens, gibt es intelligentere Aussagen und zweitens, treffen solche Karikaturen genau diejenigen, für die ihr Glaube alles ist, was sie haben. Diejenigen, die von den Eliten instrumentalisiert werden, gerade um solche Lästerlichkeiten zu sühnen. Die Aussichtslosen in den Banlieues sind es, die für die Mächtigen in den Krieg ziehen. Humor sollte nicht wild um sich schießen, Humor sollte genau zielen, am besten nach oben.

Trotz des unfassbaren Grausamkeit also, die der Charlie Hebdo Redaktion widerfahren ist und trotz ihres eigenen mehr oder weniger anarchistischen Selbstverständnisses, muss sie sich meiner Meinung nach doch die Frage gefallen lassen, was sie mit solchen Mohammed-Karikaturen eigentlich bezwecken will.

Seltsam auch, dass eine Umfrage unter ZEIT-Leser ergeben hat, dass 60% der Meinung sind, dieser Terror habe nichts mit dem Islam zu tun. Das ist natürlich nett gemeint, aber stimmt es denn auch? Haben solche Anschläge nicht mit jenem Islam zu tun, der von den einen als Macht missbraucht wird und für die anderen der letzte Ankerpunkt ist? Aber vor allem, hat solche Gewalt etwas mit Gewinnern und Verlierern zu tun. Mit einer Jugend ohne Zukunftsperspektiven. Mit einer Gesellschaft, die nicht weiss, dass im Grunde jeder einfach nur teil haben möchte. Mit einer Arbeitswelt, die sich nicht um Arbeitsplätze schert sondern um Aktionäre. Mit Politikern, die sich nicht um junge Männer kümmern, die sich diesseits keine Existenz aufbauen können und es deshalb lieber mit den 72 Jungfrauen im Jenseits versuchen.

Gut, auch früher haben die Eliten aufstrebende junge Männer im Krieg entsorgt. Und da fällt mir noch was ein:

Am Trauermarsch haben Staatsoberhäupter mal wieder Flanke gezeigt: Solidarität mit den Opfern, mit Frankreich, die gemeinsame Entschlossenheit gegen das Übel vorzugehen. Ich zweifle nicht an der ehrlichen Betroffenheit aber:

Liebe Frau Merkel,

Ihr Land ist einer der größten Waffenexporteure. Wäre es nicht an der Zeit, dass Sie sich darum kümmern, dass solche Geschäfte eingestellt werden? Exportgewinne hin oder her. Ich sage ja auch nicht, dass es solche Anschläge nicht mehr geben würde, aber wenigstens hätten Sie sich dann nicht die Hände schmutzig gemacht.

Hinten rum fiese Geschäfte treiben und dann in der ersten Reihe rumstehen und heulen. Die haben wir am liebsten.